Wenn Stefan Anderl (im Bildf) im Rahmen einer analytischen Pressekonferenz in Fahrt kommt, hängen die Zuhörer aufmerksam an seinen Lippen. Es ist erstaunlich, wie der Trainer des Regionalligisten FC Memmingen erklären kann, was man die 90 Minuten zuvor offenbar gesehen, aber gar nicht so eingeordnet hat. Von wegen, Fußball ist ein simples Spiel, bei dem 22 Spieler einem Ball hinterherhecheln und das Runde ins Eckige muss. Anderls Ansprachen klingen oft nach Fußball-Philosophie.
Nach dem 1:2 (0:1) gegen den FV Illertissen aber schien auch er mit seinem Latein am Ende: „Keine Ahnung, was heute mit meiner Mannschaft los war. Sie hat Sachen gemacht, die ich bislang noch nicht gesehen habe.“ Unnötige Abspielfehler, falsche Laufwege, unzureichend ausgeführte Freistöße. Die Liste, meinte Anderl, ließe sich fortsetzen. Seine Analyse mündete aber keineswegs im Wutanfall, denn: „Das hat schließlich keiner mit Absicht getan.“
In der Memminger Arena sind sie inzwischen ein recht gehobenes Niveau gewohnt. Dort wird seit Saisonbeginn technisch und taktisch versierter und ein für die Zuschauer ansehnlicher Fußball geboten – von Spielern, die teilweise auf dem Sprung sind in den Profibereich. Wer auf diesem Level patzt, wird meist bestraft. Ausgerechnet im Nachbarschafts-Duell gegen den FV Illertissen widerfuhr das jenem FCM, der immerhin vier Spiele zuvor ohne Niederlage geblieben war.
Aber trotz fehlender Aggressivität und mitunter falscher Laufwege hätte diese Partie womöglich auch anders laufen können. Dazu hätten Stefan Schimmer (30.) und Muriz Salemovic (41.) ihre Chancen nutzen müssen. „Wenn wir da jeweils treffen, steht es 2:0 für uns. Dann geht das Spiel anders aus“, war sich Schimmer hinterher sicher. Doch der Neuzugang aus Gundelfingen traf erst in der Nachspielzeit (94.) ins Schwarze. Zu diesem Zeitpunkt freilich hatte eine clevere und ballsichere, aber keinesfalls überragende Gäste-Elf schon zweimal jubeln dürfen.
Vor allem die Führung spielte dem Team von Ilija Aracic in die Karten: zwei Minuten vor Halbzeitpfiff, zudem markiert vom Ex-FCM-Stürmer Michael Geldhauser. So etwas fühlt sich an wie ein schmerzender Nadelstich.Überhaupt glaubte Aracic, erfolgreiche Nadelstiche gesetzt zu haben. „Ich habe das letzte Heimspiel der Memminger gegen Schweinfurt gesehen“, verriet er, „und wusste, dass wir von Anfang an präsent sein und gut stehen müssen, damit wir den Gegner oft ärgern.“ Das ist ihm gelungen. Jedenfalls wollte FCM-Vorsitzender Armin Buchmann nach dem 1:2 nicht lange um den heißen Brei herum reden: „Natürlich, diese Derby-Niederlage nervt gewaltig.“
Wie gesagt: In Memmingen sind sie inzwischen ein recht gehobenes Niveau gewohnt, und der Blick vor diesem Spiel auf die Tabelle (Platz sieben) verhieß Hoffnungsvolles fürs Derby. Immerhin: Stefan Anderl war sich am sehr späten Freitagabend doch noch sicher, den überraschenden Leistungsabfall seiner Jungs im Laufe der Woche ergründen zu können. Und für Torschütze Stefan Schimmer steht ohnehin fest: „Wir sind selbstbewusst genug, um nun am Samstag in Seligenporten zu gewinnen.“
(Von Freddy Schissler - Allgäuer Zeitung vom 24.10.16 - Foto: Olaf Schulze)
