Trainingsplatz, Video-Analyse, Berufsschule und Privates: Stefan Anderl (51) sieht sich in einem Spannungsfeld. Manchmal weiß der Cheftrainer des FC Memmingen wahrscheinlich selber nicht mehr, wie wenig Zeit ihm eigentlich neben Beruf und Fußball für gemeinsame Unternehmungen mit seiner jungen Ehefrau Sarah Anderl-Straub (30) bleibt.
Als der Gundelfinger unlängst vor Sponsoren des Vereins aus dem Nähkästchen plauderte, waren Aufmerksamkeit und Erstaunen des Publikums gleichermaßen groß. Eines stellte Anderl dabei klar: Bei allem Stress, dem er sich als Berufsschullehrer mit seinem "Nebenjob" Regionalliga-Trainer ausgesetzt sieht, sei es ihm "eine Herzensangelegenheit, dass meine Ehe das einigermaßen unbeschadet übersteht". Der Aufwand ist enorm. Eigentlich wollte es der gelernte Diplom-Ingenieur Anderl im Leben ja ruhiger angehen lassen, als er sich für den Job des Berufsschullehrers entschied. Es ist anders gekommen. Wenn jetzt am Samstag um 14 Uhr der FC Ingolstadt II in der Arena an der Bodenseestraße gastiert, wird deutlich, wie hoch die Anforderungen an den Memminger Coach in der aktuellen Regionalliga sind.
Die Ingolstädter können zum Beispiel pro Jahr 144 Trainingseinheiten mehr absolvieren als der FC Memmingen. Das weiß Anderl von Roland Reichel. Seinem Freund, der zufällig der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) beim FCI ist. "Bei mir", so hält Anderl dagegen, "konnte Muriz Salemovic diese Woche gar nicht ins Training kommen und vor dem Buchbach-Spiel hatte er Nachtschicht". Verteidiger-Kollege Daniel Zweckbronner musste ebenfalls Nachtschicht arbeiten. Umso respektabler ist es, dass der FCM mit 27 Punkten in der aktuellen Tabelle sechs Punkte vor dem 13. Ingolstadt II liegt. "Eure spielen Männerfußball, meine spielen nur schönen Fußball", sagt der Ingolstädter Reichel anerkennend in Richtung Memmingen.
"Männerfußball" heißt schlicht, dass der FCM in punkto technischer Beschlagenheit nie wird vollends mithalten können mit den Klubs, die unter Vollprofi-Bedingungen arbeiten. Dass diese Unterlegenheit aber kompensiert wird durch viel Einsatz. "Dass wir denen auch weh tun", setzt Anderl hinzu, meint damit aber nicht Unfairness, obwohl der FCM heuer in der Fair-Play-Tabelle nicht von ungefähr eher ziemlich unten steht.
Wie Anderl verweist auch der Vereinsvorsitzende Armin Buchmann darauf, dass sich der FCM in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft "im Promille-Bereich bewegt"; sprich: er steht momentan an dritter Stelle aller 9100 Amateurmannschaften in Bayern. "Da kann Memmingen unglaublich stolz drauf sein", meint Anderl, der ausdrücklich auch seinen Trainer-Vorgängern in Memmingen dafür Anerkennung zollt.
Dabei wird die Aufgabe für den Mann an der Seitenlinie nicht einfacher. "Die Regionalliga wird definitiv jedes Jahr stärker werden, weil alle guten Spieler inzwischen bei den Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs landen", weiß auch Günter Gerling, NLZ-Leiter bei Greuther Fürth, den Anderl jüngst bei einer A-Lizenz-Trainerfortbildung getroffen hat.
Gut gerüstet sieht sich der Memminger Chefcoach für die Partie am Samstag: Außer dem gelb-gesperrten Daniel Zweckbronner und Jamey Hayse (Muskelfaserriss) hat er alle Mann an Bord. Nur Anderls Ehefrau Sarah wird wieder geraume Zeit warten müssen, bis ihr Stefan nach Spiel und Pressekonferenz zu Hause ist. Da ist es gut, dass sie nicht nur "die Frau an seiner Seite" ist, sondern als Doktor der Psychologie in Ulm und als Musikerin selber ordentlich zu tun hat.
(Von Markus Brändle / Allgäuer Zeitung vom 18.11.16 / Foto: Olaf Schulze)
