Memmingen – ein schmuckes Städtchen mit 43.000 Einwohnern am Tor zum Allgäu, wirtschaftlich prosperierend, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Sportlich mischt der FC Memmingen seit fast vier Jahrzehnten in der Spitze des bayerischen Amateurfußballs mit und ist hinter dem FC Augsburg fußballerisch die Nummer zwei in Bayerisch-Schwaben. Viele Jahre gehörte der FCM über einige Zeit immerhin drittklassigen Bayernliga an und spielt aktuell in der Regionalliga Bayern auf Rang fünf zur Winterpause eine gute Rolle. Der Sprung in den bezahlten Fußball gelang dem Traditionsclub zwar selbst nie, dafür aber vielen Talenten, die hier geboren wurden. Verglichen mit der Einwohnerzahl sind es im Laufe der Jahre sogar außergewöhnlich viele Profis, die als Geburtsort Memmingenin ihren Pässen stehen haben.
Mit dem WM-Siegtorschützen von 2014 Mario Götze und Holger Badstuber vom FC Bayern München sind äußerst prominente Namen darunter. Jüngste Beispiele sind außerdem Alexander Hack, der beim FSV Mainz den Durchbruch geschafft hat und Götzes jüngerer Bruder Felix. Er kickt derzeit bei den U19-Junioren des FC Bayern in der Jugend-Bundesliga sowie der Youth-Champions-League und ist ebenfalls auf dem ganz großen Sprung. Dem 1,90 Meter langen Innenverteidiger wird eine vielversprechende Karriere zugetraut.
Die Liste lässt sich noch länger fortsetzen und wird komplettiert in früheren Jahren mit den ehemaligen Bayern-Nationalspielern Reinhold Mathy und Franz Roth. Oder auch Frank Kramer, der zwar als Aktiver nicht den ganz großen Durchbruch schaffte, aber nach den Trainerstationen SpVgg Greuther Fürth, TSG Hoffenheim und Fortuna Düsseldorf aktuell beim DFB als Junioren-Bundestrainer der deutschen U19-Auswahl unter Vertrag steht.
Memmingen ist also so etwas wie die Wiege von Fußballprofis – aber warum? Eine rechte Erklärung darauf findet niemand, auch nicht Ex-Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger, der kürzlich nach 36 Dienstjahren abtrat und in dessen Amtszeit etliche Profigeburten fielen. Vielleicht ist es ja die Allgäuer Luft! Die ungewöhnliche Häufung war bei der Jahressschlusssitzung auch ein Thema am vergangenen Wochenende im Memminger Stadtrat. „So viele Profis sind für eine kleine Stadt wie Memmingen schon ungewöhnlich“, befand dabei auch der ehemalige 3. Bürgermeister Helmut Börner. Insgeheim sind die Politiker darauf stolz. „Heuer hatten wir an unserem Klinikum 238 Geburten mehr als im Jahr zuvor. Vielleicht ist von den heute Neugeborenen 2038 wieder einer bei der Weltmeisterschaft dabei“, wagt Börner einen augenzwinkernden Blick in die Zukunft. Was ja nicht nur für Jungs, sondern auch für Mädels gelten kann. Mit Sarah Romert, die mit dem FC Bayern München deutsche Meisterin wurde, gibt es auch ein weibliches Vorbild.
Die bisher aus Oberschwaben ausgezogenen Typen und Charaktere waren und sind unterschiedlich. Gemeinsamkeiten der Spieler gibt es scheinbar nicht. Oder vielleicht doch? Roth, der mit den Bayern große Erfolge im Europapokal feierte, war ein Kämpfertyp. Wegen seiner körperbetonten Spielweise und seines harten Schusses erhielt er den Spitznamen „Bulle“, der aber weniger auf seine Herkunft aus der ländlichen Region sondern vielleicht eher auf den damaligen Bayern-Sponsor „Magirus Deutz – die Bullen“ gemünzt war. Auch Timo Gebhart (1860 München, VfB Stuttgart, 1. FC Nürnberg, Steau Bukarest, jetzt Hansa Rostock) ist einer, der auf dem Platz hart im Geben und Nehmen ist. Gekämpft haben auf ihre Weise ebenfalls Reinhold Mathy, Frank Wiblishauser (u.a. 1. FC Nürnberg) und Martin Dausch (aktuell MSV Duisburg) genauso wie jetzt Badstuber. Und zwar immer wieder mit schweren Verletzungen, die möglicherweise noch größere Karrieren verhindert haben. Was alle auszeichnet: Aufgeben gilt nicht!
Einige der in Memmingen geborenen Profis haben ihre Karrieren beim heimischen FCM begonnen. Der Verein ist seit langem für seine gute Jugendarbeit bekannt. Aber einige Talente direkt vor der Haustüre gingen dem Club auch durch die Lappen. Badstuber hat nie für den örtlichen Fußballclub gespielt, auch keiner der Götze-Brüder. Allerdings zog die Familie schon in deren Kindesalter vom Allgäu in den Ruhrpott. „Vielleicht müssen wir unser Scouting schon im Kreißsaal beginnen“, scherzt FCM-Präsident Armin Buchmann.
Die Geburtsstation am Memminger Klinikum hat einen guten Ruf, unterscheidet sich optisch aber auch nicht von anderen Einrichtungen dieser Art. „Einen Fußball-Kreißsaal haben wir noch nicht. Aber das wäre vielleicht eine Marketing-Idee“, freut sich der Klinik-Verwaltungsleiter Wolfram Firnhaber über die entsprechende Publicity für das Haus. Jedenfalls hat er trotz deutlich steigender Geburtenrate noch keine Eltern ausgemacht, die gezielt das Memminger Klinikum ansteuern, weil hier vermeintlich die Wiege des Fußballs steht. „Und man sieht den Babys ja ihre Talente auch noch nicht an“, sagt der Vater von drei Söhnen, die auch hier zur Welt gekommen sind. Fußball ist auch im Hause Firnhaber ein Thema. Zwei der Jungs haben die Kickschuhe wieder an den Nagel gehängt. Beim jüngsten Sproß Felix (16) darf der Papa noch hoffen, dass der sportliche Weg noch weitergeht. Aber trotz der guten Memminger Quote weiß Firnhaber, dass am Ende nur ganz wenige tatsächlich den Traum vom Profifußball verwirklichen dürfen.
Die Kicker, die von Memmingen in die große Fußballwelt ausgezogen sind, sind ihrem „Heimatort“ mal mehr oder weniger noch verbunden. Oberbürgermeister Holzinger ging in Pension, ohne dass Mario Götze trotz mehrerer Einladungen dem Ruf gefolgt ist, sich ins „Goldene Buch der Stadt einzutragen. Gebhart zieht wie in alten Zeiten mit seinen Freunden um die Häuser, wenn er zuhause ist. Dausch hält Kontakt zum FCM, der auch schon eine Spendenaktion für die Aniridie-Forschung organisiert hat. Ein Sohn von Dausch leidet an dieser seltenen Augenkrankheit. Wiblishauser hat eine Heilpraktiker-Praxis aufgemacht, hilft hier auch Sportlern, die lange Leidenswege durch Verletzungen durchgemacht haben. Beim FC Memmingen war er schon als Reha- und Nachwuchstrainer tätig und schickt sich an, als Chefcoach den Nachbarclub TV Bad Grönenbach von der Bezirks- in die Landesliga zu führen.

(Von Andreas Schales - in Auszügen abgedruckt im KICKER-Sportmagazin am 19.12.16 - Grafik: Kicker - Titelfoto: Pressestelle Stadt Memmingen)
